Pipeline, zwischen Orakel und Punktlandung

Wenn Sie mit Ihrem Verkaufsteam über dessen Pipeline sprechen, erhalten Sie einen farbenfrohen Blumenstrauss an Analysen, Ausreden und Prophezeiungen. Hinter diesen Antworten verbirgt sich weit mehr, als Sie vielleicht vermuten. Denn Ihre Vertriebspipeline erzählt die Geschichte von Herausforderungen und Potenzialen, die es zu entdecken gilt.

Dieser Blogbeitrag enthüllt die Geheimnisse Ihrer Vertriebspipeline. Erfahren Sie, warum die Antworten und Verhaltensweisen Ihres Teams wertvolle Hinweise über den Erfolg Ihrer Vertriebsstrategie liefern und wie Sie Ihre Pipeline einen großen Schritt näher zu präzisen Prognosen bringen können.

1. Die Protagonisten

Da gibt es die Fleissigen. Die sind aktiv und haben viele Erstgespräche. Sie machen vieles gut und richtig. Aber sie verlieren die Interessenten Schritt für Schritt entlang der Customer Journey. Den Grund dafür kennen sie allerdings nicht. Konfrontiert mit den Fakten, sind sie erstaunt, wieviel da liegen bleibt.

Dann sind da die Super-Optimisten. Deren Umsatz-Prognosen und angestrebte Anzahl der Abschlüsse sind deutlich höher als das erreichte Ergebnis am Ende der Periode. «Wenn das alles kommt, dann werde ich deutlich über dem Ziel liegen.»

Schlüpfriger wird es bei den Unverbindlichen. Da gibt es wenig Konkretes. Dafür viele Ausreden, warum das Resultat nicht vorhersehbar sei. Hier ist die Regel: Alles ist ein Sonderfall, dessen Ergebnis man nicht voraussagen kann.

Während wir den Optimisten und den Unverbindlichen noch Ansätze von Berechenbarkeit unterstellen können, müssen wir bei den Gefangenen der Hoffnung Mitleid haben. Ihre Pipeline ist so schwach, dass sie sich das wenige, das sie haben, schön reden. Jeder Lead wird hier in Gedanken zur Punktlandung. Und anders darf es auch nicht kommen, sonst wäre das fatal.

Und dann gibts noch die Beifahrer. Sie haben die Kontrolle und damit den Willen, die Kunden zu führen, vor langer Zeit abgegeben. Kompletter und unbewusster Kontrollverlust, der sich äussert in: «Das Gespräch war ausgezeichnet. Sie wollten auch noch die Unterlagen und haben gesagt, dass sie sich melden, sobald sie so weit sind. Druck machen wollte ich da aber nicht. Das wäre nicht gut angekommen.»

Ich gehe davon aus, dass Sie Ihr Team oder sich selbst in diesen Protagonisten wiedergefunden haben. Denn wir alle bewegen uns je nach Situation zwischen diesen Protagonisten hin und her.

Doch was steckt dahinter und wie können Sie Einfluss nehmen auf diese Situation?

2. Kontrollverlust

Zu viel Empathie und zu Know-how führen dazu, dass der Vertrieb mit zu viel Einfühlungsvermögen an die Sache geht und den Kunden nicht führt oder aktiv begleitet. Es braucht Mut und Erfahrung, bewusst die Führung zu übernehmen und dem Kunden zu sagen, was er tun soll.

Verstärkend kommt hinzu, dass wir die Leistung des Teams an den falschen Werten messen. Beispielsweise an der Zahl versandter Angebote. Dies ist an sich bereits ein kompletter Kontrollverlust und sagt nichts darüber aus, ob der Kunde ein echtes Interesse an unseren Leistungen hat.

Die mangelnde Kontrolle über die Situation führt zu unvorhersehbaren Ergebnissen und einem Mangel an Transparenz.

Verkäufer benötigen Strategien und Werkzeuge, um den Kunden effektiv zum nächsten Schritt zu leiten. Dies gelingt meist dann, wenn man dem potenziellen Kunden einen klaren Nutzen aufzeigt, weiter in die Angelegenheit zu investieren – vorausgesetzt natürlich, das Gegenüber hat die Entscheidungsbefugnis über die nächsten Schritte.

Wie Sie Kontrollverlust verhindern:

  • Schulungen in der Führung von Erstgesprächen mit Fokus auf die Bedarfsanalyse. Finde ich relevante Bedürfnisse, kann ich diese nutzen, um einen nächsten Schritt zu initialisieren.
  • Sorgen Sie für ein besseres Verständnis der Customer Journey Ihrer potentiellen Kunden.
  • Lernen Sie Formulierungen für das verbindliche Fixieren von nächsten Schritten.
  • Führen Sie relevante Messgrössen ein. Beispielsweise die «Anzahl der Folgeschritte, die direkt im ersten Gespräch vereinbart werden können» oder die «Anzahl der Angebote, die in einem Folgegespräch persönlich mit dem Kunden besprochen wurden». Sie geben Ihnen ein besseres Verständnis darüber, was entlang der Customer Journey tatsächlich passiert.
  • Nehmen Sie sich Zeit für regelmäßiges Feedback und Coaching in Form von Besuchsbegleitungen und kritischem Austausch zu den Kundenbesuchen.

3. Naivität

Viele Verkäufer sind zu naiv, zu vertrauensvoll. Vor allem, dann wenn die Pipeline etwas trocken ist. Sie glauben den Kunden zuviel, lassen sich vertrösten und tun brav, was die Kunden wollen. Die Folge ist auch hier der Kontrollverlust. Er muss aber anders angepackt werden.

Die Stärke naiver Verkäufer ist, dass sie oft authentischer wirken und deshalb schnell Vertrauen beim Kunden aufbauen können. Aber sie können leider leicht ausgenutzt oder getäuscht werden, was zu verpassten Chancen oder unnötigen Verlusten führen kann.

Dieses Verhalten resultiert aus mangelnder Erfahrung, fehlender Schulung oder einem natürlichen Hang, den Worten anderer zu vertrauen. Interessanterweise ist diese Eigenschaft bei jüngeren Generationen stärker ausgeprägt. Aber auch Verkäufer, die aufgrund schlechter Zahlen unter Druck stehen, neigen dazu, die Dinge durch eine rosarote Brille zu sehen.

Wie Sie Naivität kompensieren:

  • Mentorship-Programme einführen, um weniger erfahrene Verkäufer mit erfahreneren zu paaren.
  • Regelmässige Weiterbildungsangebote, um mit Fragen das Gegenüber rationaler einschätzen zu können.
  • Kundenfeedbacks regelmäßig sammeln und mit dem Vertriebsteam teilen und diskutieren. Vor allem auch bei Absagen.
  • Kunden einladen, die ihnen zeigen, wie sie vorgehen und taktieren (Mauerschau)

4. Temporär zu hoher Druck

In vielen Unternehmen ist der Verkauf zum Ende der Periode einem grossen Druck ausgesetzt und versucht, den hohen Erwartungen gerecht zu werden. Teilweise wird er dazu sogar angestiftet. Es werden Preise angepasst oder zusätzliche Prämien gesprochen. Auch wenn dies nur zu kurzfristigen und nicht skalierbaren Resultaten führt. In diesem Umfeld sind die Verkäufer zu sehr auf die unmittelbaren Ergebnisse abhängig. Es herrscht ein hoher Druck, mit grossen Auftragssummen in zu kleinen Zeitfenstern (Ende Monat, Ende Quartal oder Jahr).

In vielen Unternehmen stehen die Verkaufsteams am Ende der Periode unter enormem Druck. Sie sind mit hohen Erwartungen konfrontiert. Oft werden sie kurzfristigen Erfolgen ermutigt, indem sie durch Preisanpassungen oder zusätzliche Prämien gelockt werden. Diese Massnahmen führen zu nicht skalierbaren Ergebnissen und es entsteht ein Umfeld, in dem immenser Druck herrscht, innerhalb kurzer Zeitspannen – wie dem Monatsende, Quartalsende oder Jahresende – hohe Auftragsvolumen zu generieren.

Wie Sie den Druck reduzieren und dennoch gute Resultate am Ende der Periode liefern:

  • In Zeiten geringerer Belastung, frühzeitig mehr Fokus auf gute Vorarbeit legen und zusätzliche Chancen schaffen, so dass am Ende der Periode möglichst viele vorhanden sind.
  • Früher mit dem Team in die Pipeline steigen und verstehen, wo im Vorfeld welche Massnahmen getroffen werden müssen.
  • Es ist oft effektiver, Projekte in kleinere, handhabbare Schritte zu unterteilen und so die Entscheidungsbereitschaft des Kunden zu erhöhen – sei es durch Teiletappen, Pilotprojekte oder ähnliche Ansätze. Dies ist in der Regel besser, als große Aufträge mit allen Mitteln durchzusetzen.

5. Qualität statt Quantität

Verkäufer könnten dazu neigen, in erster Linie eine hohe Anzahl an Leads zu generieren, ohne deren Qualität oder Eignung für das Unternehmen zu berücksichtigen. Dies mag auf den ersten Blick positive Signale aussenden, da viele potenzielle Chancen wahrgenommen werden. Es führt jedoch nicht zu den gewünschten Kundenbeziehungen, Umsätzen und Deckungsbeiträgen.

Häufig fusst dieses Verhalten auf Vorgaben und Zielen des Unternehmens, die eher auf Mengen als auf Qualität ausgerichtet sind. Ein typisches Beispiel dafür ist beispielsweise die Zahl der täglich versendeten Angebote als Ziel.

Wie Sie Sie die richtige Balance finden:

  • Sie sollten Ihre Ziele überdenken und die Qualität zielgerichteter Verkaufsarbeit definieren, um sie dann in die Bewertungskriterien aufzunehmen. Im Beispiel oben könnte man beispielsweise messen, aus wie vielen Offertanfragen ein proaktiver Anruf oder ein Termin resultierten.
  • Schulen Sie Ihre Mitarbeiter in der Identifikation und Segmentierung von Zielkunden. So entwickeln sie ein tieferes Verständnis dafür, welche Kunden sie akquirieren wollen. Gerade in Unternehmen mit vielen Anfragen ist dieses Verständnis von entscheidender Bedeutung.
  • Feedbacks helfen, die Qualität von Leads kontinuierlich zu überprüfen und zu verbessern.

6. Die Bedürfnisse Ihrer Kunden besser verstehen

Oft versteht der Verkauf die Bedürfnisse der Kunden nicht richtig. Und damit meine ich: Kunden haben meist eine Lösung und sind auch sehr oft nicht zufrieden damit. Oder sie sind überfordert damit, jetzt eine bessere Lösung zu suchen. Warum passiert das?

Sie sind zu stark mit verkäuferischen Aktivitäten beschäftigt und zu wenig und zu spät stellen sie die Fragen, die ihnen helfen, das Gegenüber und seine Motivation besser zu verstehen. Das Problem sind meist: Mangelnde Schulung, nicht genug Zeit bzw. zu grosser Druck, um wirklich zuzuhören, oder zu grosser Fokus auf das Verkaufen anstatt auf das Lösen von Kundenproblemen. Der Grund liegt nicht selten in der Unternehmenskultur, die den schnellen Verkauf über den langfristigen Kundenwert stellt. Da bleibt wenig Platz und Zeit für Neugierde.

Wie Sie die Neugierde Ihres Verkaufsteams wecken

  • Teilen Sie Kunden-Testimonials und Erfolgsgeschichten intern in ihren Meetings. Sprechen Sie darüber, weshalb sich Kunden für Ihr Unternehmen entschieden haben.
  • Binden Sie das Verkaufsteam in Kundenfeedback-Sitzungen ein und führen sie ihnen die Situation vor Augen. Ich hatte einen Kunden, der hat jeden verlorenen Auftrag nachgefasst und die Feedbacks direkt an den Verkauf wiedergegeben.
  • Rollenspiele und Simulationen helfen, um Empathie und aktives Zuhören zu fördern.
  • Trainieren Sie Ihr Team darin, zu verstehen, wie es den Kunden immer wieder einen Schritt weiter in Richtung Entscheidung bringt. Erfahrungsgemäss funktioniert das nur dann gut, wenn sie verstehen, was das Bedürfnis des Kunden ist.
  • Schicken Sie Ihr Team auch mal zu zweit los. Tandem-Verkauf mit den Besten öffnet die Augen.
  • Verringern Sie den Druck auf Geschwindigkeit und Abschluss. Weniger Druck öffnet meist die Augen.

7. Mangelnde Vorbereitung

Wenn ein Verkäufer sich vor einem Kundengespräch nicht über das Gesprächsziel oder die nächsten Schritte im Klaren ist, wie kann er dann dem Gegenüber den Nutzen des Fortschritts im Prozess aufzeigen? Gespräche ohne Ziel sind ineffektiv, was zu verpassten Gelegenheiten und einem negativen Kundenerlebnis führt. Das Problem liegt darin, dass der Verkäufer den Verkaufsprozess nicht ausreichend versteht und ungenügend vorbereitet ist. Es mangelt an Klarheit darüber, wie es weitergehen soll und welche Ziele das Gespräch verfolgt.

Wie Ihre nächsten Schritte aussehen sollten:

  • Erstellen Sie eine klare Agenda für jedes Kundengespräch und stecken Sie die Erwartungen auf beiden Seiten ab.
  • Schauen Sie sich vor dem Gespräch die Kundendaten und die bisherige Interaktionen nochmals an.
  • Entwickeln Sie ein besseres Verständnis für die Bedürfnisse des Kunden und legen Sie die nächsten Schritte entlang der Journey des Kunden fest.

8. Bessere Indikatoren

KPIs können das Verhalten von Verkaufsteams stark beeinflussen und daher direkt den Umsatz steigern oder reduzieren. Daher stellt sich die Frage, welche Schritte und KPIs wirklich zielführend sind und das Verhalten der Verkäufer in die richtige Richtung steuern. Oft hat die Führung hierzu ein geringes oder falsches Verständnis. Zuviel ist auf Kontrolle ausgerichtet. Die eigenen Messgrössen basieren oft auf Industriestandards, früheren Erfahrungen oder sind einfach historisch gewachsen.

KPIs für Transparenz und Verhaltensänderung

  • Kundenzufriedenheit und Wiederkaufsrate
  • Umsatzentwicklung der bestehenden Kunden, gesplittet nach Sortimentsgruppen (bestehend und neu).
  • Durchschnittlicher Verkaufswert und Deckungsbeitrag im Vergleich zum internen Benchmark.
  • Die Länge der Verkaufszyklen im Verhältnis zu Umsatzgrössen.
  • Messen der Aktivitäten, die in naher Zukunft den Erfolg bringen (Anzahl generierte Termine, Angebotsbesprechungen etc.).

9. Individuellere Führung

Es ist wichtig zu verstehen, dass jedes Mitglied im Team unterschiedliche Bedürfnisse, Fähigkeiten und Motivationen hat. Ein „Einheitsansatz“ wird oft nicht den gewünschten Erfolg bringen. Hier stellt sich die Frage, wie individuell werden die einzelnen Teammitglieder geführt? Und steht der Führung genug Zeit dafür zur Verfügung?

Eine individuelle Führung berücksichtigt diese Unterschiede und bietet massgeschneiderte Unterstützung. Auch die direkten Vorgesetzten oder Mentoren, die eng mit den Teammitgliedern arbeiten, können oft wertvolle Einblicke bieten und helfen, ein tieferes Verständnis für jedes Teammitglied zu entwickeln. Sprechen Sie unbedingt darüber.

Und wie schon oben erwähnt, kann die Wahl der richtigen KPIs das Verhalten und die Leistung beeinflussen. Es ist wichtig, die KPIs regelmäßig zu überprüfen und anzupassen, um sicherzustellen, dass sie den gewünschten Verhaltensänderungen entsprechen.

Wie Sie der Individualität mehr Rechnung tragen:

  • Erstellen Sie für jedes Teammitglied ein individuelles Profil, das auf denselben Kriterien oder KPIs basiert, die für die anderen Teammitglieder gelten. Kommunizieren Sie offen, wie Sie die Leistung und den Beitrag Ihres Gegenübers wahrnehmen.
  • Überlegen Sie, ob es sinnvoll ist, individuell angepasste Fokus-KPIs für verschiedene Teammitglieder einzuführen, basierend auf ihren spezifischen Rollen und Fähigkeiten. So setzen Sie den Fokus noch zielgerichteter.
  • Regelmäßige Einzelgespräche mit Teammitgliedern helfen, individuelle Stärken, Schwächen und Bedürfnisse zu identifizieren.
  • Bieten Sie Schulungen und Coaching-Sitzungen an, die auf die individuellen Bedürfnisse der Mitarbeiter zugeschnitten sind. Dies kann ihre Fähigkeiten und ihr Selbstvertrauen stärken.
  • Ermutigen Sie eine offene Feedback-Kultur, bei der Mitarbeiter ihre Bedenken und Ideen äußern können. Dies bietet nicht nur Einblicke in ihre Perspektive, sondern stärkt auch das Teamgefühl und die Motivation.
  • Führen Sie Mentoring-Programme ein, bei denen erfahrene Teammitglieder jüngere oder weniger erfahrene Kollegen unterstützen. Dies fördert die Zusammenarbeit und den Wissenstransfer im Team.

Fazit

Die Vertriebspipeline eines Unternehmens spiegelt nicht nur Zahlen und Prognosen wider, sondern auch das menschliche Verhalten und die zugrunde liegenden Prozesse. Es ist essentiell, hinter die Kulissen zu schauen, um das wahre Bild und die wahren Herausforderungen zu erkennen. Die vorgestellten Handlungsempfehlungen bieten eine solide Grundlage, um sowohl individuelle als auch teambasierte Verbesserungen im Vertrieb zu erzielen.


Patrick Utz Portrait

Patrick Utz

Verkaufstrainer, Unternehmensberater

Patrick ist seit 2008 in der umsetzenden Beraterrolle und geniesst die Auseinandersetzung mit den Herausforderungen seiner Kunden. Diese Kunden kommen aus der DACH-Region. Genauso wie unser Team.

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