VON DER STARRE ZUR VERTRIEBLICHEN STÄRKE
Die versteckte Gefahr für mittelständische Unternehmen – und der systematische Ausweg.
Krieg, Zölle, schnelle Veränderungen: Wirtschaftliche Unsicherheit führt nicht nur zu vorsichtigeren Kunden, sondern zu Degeneration in der eigenen Vertriebsorganisation. Eine systematische Anleitung zum Ausbruch.
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"Wir stehen vor einem Dilemma", erzählt mir der Geschäftsführer eines 180-Mitarbeiter-Unternehmens aus dem Maschinenbau. "Unsere internationalen Kunden zögern bei Investitionen, unsere lokalen Märkte sind unsicher geworden. Unser Vertrieb wartet ab, statt zu handeln. Welche Strategie ist jetzt richtig?"
Eine Wirtschaftsdienst-Studie belegt den Zusammenhang zwischen einem Anstieg der Unsicherheit und negativen Auswirkungen auf Wirtschaftsaktivität, Handel und vor allem Investitionen. Dies stellt Vertriebsorganisationen vor grosse Herausforderungen, die ich auch in Unternehmen immer wieder beobachte.
Das eigentliche Problem: Wirtschaftliche Unsicherheit führt zu vorsichtigeren Kunden und fehlendem Absatz. Und sie lässt uns erkennen, wie degeneriert und ohnmächtig die eigene Vertriebsorganisation ist.
1. Das unterschätzte Problem: Wenn Unsicherheit zur Starre führt
Die sichtbaren Symptome
Der Sales Proactivity Index mit den Daten von über 190 Unternehmen bestätigt dieses Phänomen: Vertriebsorganisationen erkennen spät, dass sie sich nicht mehr an veränderte Situationen anpassen können. Die Warnsignale sind eindeutig und zeigen sich sowohl im eigenen Unternehmen, als auch im Markt bei den Kunden.
Organisationsintern:
- Der Vertrieb klagt und fordert, statt zu handeln
- Führungskräfte geben Druck nach unten weiter, ohne Kontext zu erklären
- Teams warten auf Anfragen, statt proaktiv auf handlungsfähige Kunden zuzugehen
Im Kundenumfeld:
- Investitionsentscheidungen werden verschoben oder gar nicht gefällt
- Gerade grosse, internationale Kunden mit Top-Entscheidern in Zentralen fällen keine Entscheide
- Längere Sales Cycles und schwer erklärbare Absagen häufen sich
Die versteckten Ursachen
Eigentlich ist das offensichtlich. Doch warum passiert es immer wieder? Meine Analyse zeigt vier systemische Ursachen:
1. Führungsdistanz
Mit wachsender Unternehmensgrösse entfernt sich die Führung vom operativen Geschehen. Der Sales Proactivity Index belegt: Die Führungsstärke sinkt von 82 Punkten bei Mikrounternehmen auf 77 Punkte bei grossen Unternehmen. Viele Führungskräfte haben keinen direkten Kundenkontakt mehr und verstehen nicht, was "vorne im Markt" wirklich passiert.
2. Vertriebsdegeneration in guten Zeiten
Erfolgreiche Unternehmen werden träge. Sie konzentrieren sich auf effiziente Bestandspflege statt auf anspruchsvolle Akquise. Diese schleichende Degeneration fällt erst auf, wenn externe Schocks die Märkte verändern.
3. Mangelnde vertriebliche Befähigung
In guten Zeiten investieren Unternehmen nicht in die konsequente Weiterentwicklung vertrieblicher Fähigkeiten – sie brauchen es ja nicht. Defizite werden nicht wahrgenommen, weil der Markt nachsichtig ist. Erst wenn sich die Rahmenbedingungen ändern, wird sichtbar, dass die Organisation die notwendigen Kompetenzen verloren oder nie aufgebaut hat.
4. Systemische Trägheit durch Rotation
Wo Führungskräfte alle 3-5 Jahre wechseln und Verkäufer alle 3 Jahre rotieren, entstehen keine nachhaltigen Vertriebskompetenzen. Zudem wird meist erst nach einem Jahr klar, ob neu eingestellte Mitarbeiter den Erwartungen gerecht werden.
2. Der Teufelskreis: Messbare Konsequenzen
Wenn Führungskräfte nichts unternehmen, entsteht ein messbarer Teufelskreis mit konkreten Auswirkungen:
Kurzfristig:
- Umsatzrückgang
- Margenerosion durch "gekauften Umsatz"
- Wenig mutige, meist kostenorientierte Massnahmen
Mittelfristig:
- Frustration im Vertriebsteam
- Gute Mitarbeiter verlassen das Unternehmen
- Andauernde Unsicherheit auf Führungsebene
- Unverständnis für Kundenverhalten
Langfristig:
- Mutlosigkeit und Resignation
- Stellenabbau
- Kritisch: Es entsteht kein proaktives Verhalten mehr – damit wird die Situation nicht besser, sondern sie verfestigt sich
Eine Studie aus der Corona-Krise zeigt: 40% der Unternehmen fürchten weitere unvorhersehbare Ereignisse, "die nicht nur immense wirtschaftliche Schäden hervorbringen, sondern insbesondere eine Planbarkeit weiter erschweren, wenn nicht gar unmöglich machen."
3. Der systematische Ausweg: Überwindung der Degeneration
Die Lösung liegt nicht in besseren Strategien, sondern in der Überwindung der Degeneration der eigenen Organisation. Drei der sechs Dimensionen des Sales Proactivity Index sind in dieser Situation entscheidend:
BEFÄHIGUNG: Menschen wirksam machen
Verkäufer benötigen neue Fähigkeiten für die veränderte Situation. Nicht nur Wissen, sondern echte Handlungskompetenz.
UMSETZUNG: Vom Warten ins Machen kommen
Konsequente Umsetzung statt endloser Diskussionen. Der Sales Proactivity Index zeigt klar: Die Umsetzungsstärke nimmt mit der Unternehmensgrösse kontinuierlich ab – von 75 Punkten bei Mikrounternehmen auf 68 bei grossen.
FÜHRUNG: Richtung geben durch nahes Anleiten
Führung muss vom Besprechen ins Begleiten kommen. Nur so landet Führungsstärke dort, wo sie zählt: in der täglichen Umsetzung.
Ergänzt werden diese Kerndimensionen durch STRATEGIE (nachgelagerte Überprüfung), MESSGRÖSSEN (Verhaltens-KPIs) und KONTINUITÄT (kulturelle Verankerung).
Die ersten drei Schritte für den sofortigen Start
Schritt 1: Zurück an die Front
Sprechen Sie als Führungskraft regelmässig mit Kunden? Begleiten Sie Ihre Verkäufer zu Terminen? Nein? Dann beginnen Sie diese Woche damit. Führen Sie mindestens ein Kundengespräch pro Woche.
Schritt 2: Offener Austausch mit dem Vertrieb
Erkennen Sie, was Ihr Vertrieb wirklich benötigt. Meist ist es Befähigung und – meist unbewusst – Führung. Setzen Sie ein strukturiertes Gespräch mit dem Vertriebsteam an und sprechen Sie offen über dieses Thema.
Schritt 3: Verhalten messen, nicht nur Ergebnisse
Bei längeren Sales Cycles messen Sie vor allem Verhalten: Anzahl Besuche bei den unterschiedlichen Ziel-Kundentypen X, Y und Z, sowie systematisches Messen der angestrebten Resultate aus diesen Gesprächen (Folgeschritte).
Die vollständige 7-Schritte-Umsetzung
Für die systematische Umsetzung ergänzen Sie die ersten drei Schritte um:
Schritt 4: Einbezug des Vertriebs in Umsetzung und Erwartungen
Definieren Sie gemeinsam Messgrössen und klare Erwartungen bezüglich angestrebter Resultate. Bei längeren Sales Cycles messen Sie vor allem Verhalten: Anzahl Besuche bei Kundentyp X, Y und Z.
Schritt 5: Unterstützendes Enablement
Verkaufstraining und gegebenenfalls neue Instrumente für mehr Möglichkeiten in den Gesprächen (Budget, Preisgestaltung etc.). Wichtig: Das Enablement muss gezielt auf die Erreichung der in Schritt 4 definierten Ziele ausgerichtet sein.
Schritt 6: Enge Zusammenarbeit mit der Führung
Wöchentliche "abgleichende" Gespräche mit dem Vertrieb, damit schnell klar ist, ob die eingeschlagene Richtung stimmt. Wenn ja, können Sie das auf monatlich lockern.
Schritt 7: Kontinuierlicher Loop
Wenn die Dinge laufen, gehen Sie nochmals durch die Schritte 1 und 2, allenfalls 3 – Abgleich mit 4.
4. Praxisbeispiel: Der Unterschied zwischen Starre und proaktiver Befreiung
Der lähmende Fall: Grosse Personalvermittlung
Der Geschäftsführer einer grossen Personalvermittlung erzählt: "Die Umsätze sinken, unsere Neukundengewinnung stagniert. Wir ruhen uns auf alten Erfolgen aus. Der Vertrieb ergreift kaum noch die Initiative."
Das Problem: Führungskräfte begleiten ihre Teams nur noch selten zu Kundenterminen. Die internationale Geschäftsleitung ordnet Kostensenkungen an: "keine Neueinstellungen, weniger Investitionen." Der Vertriebsleiter resigniert: "Kurzfristig mag das die Börse beruhigen, aber unser eigentliches Problem bleibt ungelöst."
Der befreiende Fall: Flex Suisse
Demgegenüber steht Flex Suisse, ein kleiner Schweizer Personalvermittler für Juristen. Die beiden Gründer, zwei Juristen ohne nennenswerte Vertriebserfahrung, etablierten eine Kultur der systematischen Kundennähe:
- Täglich: Cold Calls in reservierten Zeitfenstern
- Täglich: Mindestens ein Mittagessen mit potenziellen Kunden
- Täglich: Drei persönliche Kontaktpunkte mit Entscheidungsträgern
Das Ergebnis: Exit nach nur drei Jahren für einen zweistelligen Millionenbetrag. Heute ist das Unternehmen Marktführer in Deutschland, Österreich und der Schweiz.
Der Unterschied? Flex Suisse verliess bewusst die Komfortzone und etablierte eine Kultur der systematischen Kundennähe – auch nach der Übernahme durch ein grösseres Unternehmen, bleiben sie weiter am Ball und bauen das Unternehmen aus.
5. Messbare Erfolgsindikatoren
Verhaltens-KPIs statt nur Ergebnis-Metriken
Besonders bei längeren Sales Cycles sind traditionelle Umsatzzahlen ungeeignet. Messen Sie stattdessen das angestrebte Verhalten:
Wöchentlich messen:
- Anzahl Kundenbesuche bei Kundentyp X, Y und Z
- Qualität der ersten Gespräche (strukturierte Nachbesprechung)
- Qualitative Feedbacks zu wichtigen Fragen aus Kundengesprächen
Führungsindikator:
- Haben Sie als Führungskraft diese Woche bereits Kundengespräche geführt?
- Führen Sie wöchentliche "abgleichende" Gespräche mit dem Vertrieb?
Externe Validierung durch Assessment
Nutzen Sie den Sales Proactivity Index, um Ihre Position objektiv einzuschätzen. Das Assessment basiert auf denselben Daten wie die Studie mit 190 Unternehmen und zeigt Ihnen:
- Ihren Score in allen sechs Dimensionen
- Benchmarks zu Ihrer Unternehmensgrösse
- Konkrete Handlungsempfehlungen für Ihre Situation
Die unbequeme Wahrheit
Das Problem liegt nicht primär beim Vertrieb. Es liegt bei der Führung.
Proaktivität ist keine Technik oder Methode – sie ist eine Haltung. Eine Kultur. Und Kultur entsteht von oben.
Solange Führungskräfte in unsicheren Zeiten auf Abwarten setzen, solange sie Druck nach unten weitergeben, ohne Kontext zu erklären, solange sie sich vom operativen Geschehen entfernen – so lange wird keine nachhaltige Proaktivität entstehen.
Die gute Nachricht: Wer bereit ist, diese Verantwortung zu übernehmen, kann sehr schnell spürbare Veränderungen bewirken.
Ihr systematischer Startpunkt
Stehen Sie vor ähnlichen Herausforderungen? Fragen Sie sich, ob Ihre Organisation die aktuellen Marktveränderungen proaktiv meistern kann?
Beginnen Sie mit einer objektiven Standortbestimmung:
1. Machen Sie kostenlos den Sales Proactivity Test
Erhalten Sie unter https://patrickutz.com/spi einen strukturierten Überblick über Ihre aktuelle Situation in allen sechs Dimensionen. Der Test basiert auf denselben Fragen wie die Studie mit 190 Unternehmen.
2. Laden Sie die vollständige Studie herunter
Erfahren Sie, wie andere Unternehmen Ihrer Grösse mit ähnlichen Herausforderungen umgehen.
3. Starten Sie diese Woche mit Schritt 1
Führen Sie mindestens 1 Kundengespräch. Verstehen Sie, was "vorne im Markt" wirklich passiert.
Selbstreflexion für Führungskräfte
Die Frage für Ihre Selbstreflexion: Wo stehen Sie aktuell? Welches ist Ihre grösste Herausforderung im Vertrieb?
Nehmen Sie sich fünf Minuten Zeit und antworten Sie sich ehrlich. Denn nur wer seine aktuelle Position kennt, kann den richtigen nächsten Schritt gehen.
Wer proaktiven Vertrieb als kontinuierlichen, trainierbaren Prozess versteht – und verloren gegangene Fähigkeiten bewusst wieder aufbaut –, bleibt auch in unsicheren Zeiten steuerungsfähig und marktgestaltend.
Die Zeit des Abwartens ist vorbei. Die Zeit der strategischen Proaktivität beginnt jetzt.
Ich wünsche Ihnen viel Erfolg beim erfolgreichen Machen.
Ihr Patrick Utz
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Patrick Utz ist Vertriebsexperte und Initiator des Sales Proactivity Index. Er ist Autor von «Verkauf. Schlau. Machen.» und unterstützt Geschäftsführer und Vertriebsleiter mittelständischer Unternehmen dabei, ihre Vertriebsorganisationen systematisch zu stärken. Aus seiner persönlichen Erfahrung als Vertriebstrainer in Unternehmen der DACH-Region weiss er: Proaktivität entsteht nicht durch Methoden oder Motivationssprüche, sondern durch die bewusste Entscheidung der Unternehmenslenker, Vertrieb als gestaltbare Aufgabe zu begreifen.